Jobcenter darf Arbeitslose in die Rente schicken

Das Jobcenter darf Empfängerinnen und Empfänger von ALG II vorzeitig in Rente schicken. Das hat das Bundessozialgericht in Kassel am 19.08.2015 (Az. B 14 AS 1/15 R) entschieden. Die dauerhaften Abschläge müssen hierbei von den Betroffenen in Kauf genommen werden.

Aus dem SGB II ergibt sich die Pflicht eines Leistungsberechtigten, Leistungen anderer Sozialträger in Anspruch zu nehmen, die vorrangig und geeignet sind, die Hilfebedürftigkeit zu beseitigen oder zu mindern. Der Gedanke dahinter ist, dass die steuerfinanzierten Leistungen des SGB II erst gewährt werden sollen, wenn der Hilfebedarf nicht anders gedeckt werden kann. Zu den sog. vorrangigen Leistungen gehört auch der vorzeitige Eintritt in die Altersrente. Das Jobcenter darf Leistungsbezieherinnen und –bezieher dazu auffordern, einen entsprechenden Antrag auf Frührente zu stellen.

Doch heißt das, dass jeder arbeitslose Leistungsbezieher von SGB II-Leistungen ab Vollendung des 63. Lebensjahres bereits durch das Jobcenter in Rente geschickt werden kann?

Ganz so einfach ist es nicht. Die Regelaltersgrenze beträgt bei ab 1964 Geborenen 67 Jahre. Das heißt, dass die reguläre Rente ab diesem Alter ohne Abschläge beansprucht werden kann. Früher in Rente gehen können lediglich „langjährig Versicherte“. Langjährig versichert ist, wer die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt hat. Die Altersrente kann dann vorzeitig ab Vollendung des 63. Lebensjahres bezogen werden – der Preis für die vorzeitige Verrentung ist dann in Form von Abschlägen der erarbeiteten Rente in Höhe von 0,3 % für jeden Monat an, den die Altersrente vor der Vollendung des 67. Lebensjahres beantragt wird, zu zahlen.

Beispiel: Wenn ein Betroffener einen regulären Rentenanspruch in Höhe von 1000 € hätte und von diesem vier volle Jahre entfernt wäre, würde das für diese Person 14,4 % Abschlag (48 Monate à 0,3 %) bedeuten. Bei der Frühverrentung blieben also statt der 1000 € noch 856 €. Diese werden dann lebenslang gezahlt – der eigentliche Rentenanspruch von 1000 € entsteht auch bei Erreichen des regulären Renteneintrittsalters nicht neu.

Genau dies ist auch der Knackpunkt, wenn das Jobcenter einen Arbeitslosen vorzeitig in Rente schickt: denn die Rente wird dadurch erheblich und unwiderruflich gekürzt.

Zwar ist Widerspruch gegen diese Aufforderung möglich, dieser hat jedoch keine aufschiebende Wirkung. Der Antrag muss trotzdem gestellt werden. Sollten Betroffene dieser Aufforderung nicht nachkommen, so darf das Jobcenter selbst für den Leistungsberechtigten den Antrag auf Verrentung bei dem zuständigen Rentenversicherungsträger stellen. Ob die Behörde dies tut, unterliegt ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Bei der Ermessensausübung muss zum einen eine Gesamtbetrachtung der Einzelfallsituation stattfinden. Zum anderen muss es sicher sein, dass die andere Sozialleistung den Hilfebedarf decken kann. Ist die Aufforderung rechtswidrig gewesen, so kann die betroffene Person vor dem Sozialgericht dagegen vorgehen. Erfolgsaussichten für eine Klage gegen das Jobcenter bestehen etwa, wenn das reguläre Rentenalter in Kürze erreicht wird, so dass eine Rente ohne Abschläge in Aussicht steht oder wenn auch durch die Frühverrentung immer noch ergänzende Sozialleistungen in Anspruch genommenwerden müssten.

Die BSG-Entscheidung ist eine Grundsatzentscheidung über die Frage, ob Jobcenter die Zwangsrente anordnen dürfen oder nicht. Bei aller Klarheit für die Jobcenter bleiben natürlich aus Sicht der Betroffenen einige Kritikpunkte offen. Diese Kritikpunkte sind gerade im Zusammenhang mit der Rente mit 63 verbunden. Während das reguläre Renteneintrittsalter in den letzten Jahren bis auf 67 Jahre angehoben wurde, ist die Möglichkeit der Frührente nicht mitangestiegen. Früher waren also höchstens Abschläge für 24 Monate früheren Rentenbezug möglich, heute sind dies bis zu 48 Monate. Ob es nicht widersprüchlich ist, ein höheres Renteneintrittsalter zu fordern, aber zeitgleich Menschen im erwerbsfähigen Alter in Zwangsrente zu schicken, bleibt ebenfalls offen. Klarzustellen ist nämlich, dass es sich hier nicht um die Erwerbsminderungsrente handelt, sondern um eine Altersrente.

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